Gottes Wille und das Leben des Alfons K.
Nach nicht wenigen Jahren hatte Alfons K. doch einiges erreicht. Sein Verdienst war mehr als auskömmlich, neben den Familienautos pflegte er einen Oldtimer für die gelegentlichen Sonntagsausflüge. Seine Frau, seine Kinder, alles wirkte irgendwie gut geordnet, fein sortiert, wie sein weitläufiger Rasen, der sich über sein Grundstück erstreckte. Das Haus war ansehnlich, er träumte davon, einmal mit dem Heißluftballon der Routine des Alltags zu entschweben. Seine Hobbys hielten ihn beschäftigt. Morgens und abends mit dem Hund beim Ausgang sinnierte er, wie und wo er den nächsten Sommerurlaub mit seiner Familie verbringen würde.
Er war stolz, dass seine Ehe bis heute irgendwie funktionierte, auch in der Firma hatte er sich ein gutes Ansehen erworben.
Als es einmal nicht zu umgehen war – er war als Feiergast zu einer Konfirmation eingeladen – betete er halb teilnahmslos, halb gedankenlos vor sich hin, im Chor murmelnd: Vater unser, dein Wille geschehe, wie im Himmel so auf Erden…
Da merkte er plötzlich wie Einer eintrat in sein Leben, das bisher doch immer seines gewesen war. Dein Wille geschehe. Er wusste nichts, er schüttelte sich, sollte der Wille eines anderen für ihn irgend eine Bedeutung, eine Relevanz haben? Sollte etwas wie der Wille Gottes für ihn ertastbar, erfühlbar sein, sollte es eine Instanz geben außerhalb seines ich’s? Er betete das Gebet nicht fertig, sein Blick ging über die Bügelfalte der Hose an den Lackschuhen entlang – was will er? Hat Gott einen Willen?
Gottes Wille
Wie kann ich seinen Willen erkennen, erfassen, erraten? Schnitze ich mir meinen Gott selbst und sage dann, er will dieses oder jenes oder tritt irgend eine übermächtige Gestalt auf mich zu und befiehlt mir: Geh diesen Weg da lang! Tue Gutes, entsage allem Irdischen, verkaufe dein Hab und Gut und geh ins Kloster, das ist Gottes Wille für dein Leben!? Hab ich falsch gelebt so wie bisher als ich nicht einmal darüber nachgedacht habe, dass es Gott und seinen expliziten Willen überhaupt gibt?
Niemand hat mir jemals davon erzählt, dass es darum ginge, einen Willen Gottes zu befolgen, geschweige denn, ihn zu kennen oder irgend etwas danach zu tun? Stets betet man „dein Wille geschehe.“
Es schien mir, als ob 2 Lokomotiven unrettbar aufeinander zufahren. Die eine Eisenbahn bin ich mit meinem Plan meines Lebens und die andere der Wille Gottes, der mir vielleicht – wer weiß es – diametral entgegensteht?
Was soll ich tun? Mich lieber mit angenehmeren Dingen beschäftigen? Die Lieder, die alten knarzenden Bänke.
Alfons K. kommen plötzlich noch mehr Gedanken
Was, wenn Gottes Wille auf der Welt überhaupt nirgends stattfindet? Wenn das, was wir machen, völlig abseits seines Plans und Willens wäre, wenn wir uns aus jeglichem Wohlgefallen Gottes hinauskatapultiert hätten, vielleicht kennen wir seinen Willen gar nicht und beten dieses Gebet wie eine leere Formel, tastend wie Blinde, brummend wie die Bären.
Er erinnerte sich an die Worte Jesu: „Nicht mein, sondern dein Wille geschehe“ bevor Jesus die Via Dolorosa das Kreuz auf dem Rücken entlangschleppte. Ist Gottes Wille ein Mysterium?
Weit entfernt, nicht erfassbar? Nur geeignet für Einzelgänger, Mönche, solche die das Volksfest des Lebens verlassen haben? Was will Gott?
Alfons K. wusste, dass es sich um eine schwere Aufgabe handelte, die er sich hier gestellt hatte. Diese Gleichung würde nicht mit zwei einfachen Formeln zu lösen sein. Allein die Idee, dass Gottes Wille dem gewöhnlichen menschlichen Willen entgegenstehen könnte, brachte ihn tief ins Nachdenken, Wenn Gottes Wille nicht Krieg, Hunger, Leid, geplatzte Familien, geplatztes Glück, verstümmelte Kinder, Naturkatastrophen sind, und all dieses trotzdem stattfindet, so würde er das Gebet verstehen, „dein Wille geschehe.“
Was, wenn Gottes Wille überhaupt nicht geschieht auf dieser Erde? Nur im Himmel, da ist Gottes Refugium und hier auf der Erde seine unwilligen Menschen. Immerhin, sie haben seinen geliebten Sohn ans Kreuz geschlagen, dabei hatte er gesagt, “ihr sollt auf ihn hören!”
Der Traum des Menschen, dass sein eigener Wille geschieht, ist meist der erste Akt eines Alptraums, eines Horrorfilms, eines Gulags.
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