Im Krankenhaus

Plötzlich fand er sich im Krankenhaus wieder, wie angenagelt in einem Bett, das alles konnte außer sprechen, trösten oder wenigstens gut zureden: Es konnte bis zu einen Meter hochfahren, nach vorne oder hinten kippen, eine Welle in den Lattenrost formen, seitlich konnte es Urinflaschen aufnehmen und es war fähig, den Krankgewordenen zum Vorhof der Operationssäle zu rollen, wo die Betäuber ihren Liebesdienst erwiesen und ihn hinüber kickten ins diesseitige Jenseits, dorthin wo man nichts mehr spürt.

Er ist hier tatsächlich ein Stück näher dran am Ende des Lebens, das direkt weitergeht auch ohne Körper. Körperlos aber nicht seelenlos, nicht wesenslos. Näher bei Gott, weiter entfernt von allem, was war, alles was unaufgeräumt, noch nicht erledigt ist. Entfernt auch von der geschafften Arbeit – unrelevant. Alle Auszeichnungen sind wertlos hier im OP-Saal zwischen der Erde und dem Himmel, coole Chirurgen rasieren die Haare, schneiden, saugen, ziehen Proben, reparieren, nähen, bandagieren. Er erwacht wieder zurück im Leben.

Doch welches Leben? Nachts wach, Schmerzen oder die Enttäuschung über die Tatsache, dass er nun hier liegt wie angenagelt in seinem Bett. „Sie haben Bettruhe“ – hört sich nur ruhig an für Uneingeweihte, der Bettruhende jedoch sucht die Position, die ihn gerade nicht schmerzt. Rollt sich Lagerungshilfen aus Handtüchern, um irgendwie eine Änderung in seinen Ablauf – Stillstand – hineinzukriegen. Die zusätzlichen Decken sind gegen den Schüttelfrost. Am Fenster tobt ein Nachtnebel, der sich hebt und senkt, Sterne dahinter, weiter und weiter gehen seine Gedanken, seine Gebete…..

Woher jetzt ein Abendmahl nehmen, ein Gebet, eine Hilfe? Ist er da, gerade jetzt, wenn er IHN so sehr braucht? Wird er da sein?
Er nimmt das abgebrochene Stück Brot – er hat faktisch gar kein Brot in der Hand aber er glaubt es einfach – nimmt das Brot an seine Lippen und isst „dies ist mein Leib“.
Dann den Wein, das Blut – er hat überhaupt keinen Becher, geschweige denn Traubensaft oder Wein an seinem Bett oder in seiner Hand, die er jetzt zu Munde führt und trinkt den unsichtbaren Wein….
Doch ER ist da.

Tatsächlich graut der Morgen und die Ärzte und Blutspritzenholer und Schwestern und Krankenhelfer kommen „kann ich Ihnen die Waschschüssel hinstellen?“ und gehen. Wie die Tage und Wochen – nun schreibt er seinen Lebenslauf neu. Jede OP markiert einen Tag in seinem neuen Leben hier in der Klinik. Bettlägrig.

Neben ihm ein Kommen und Gehen, jeden 3. Tag ein neuer meist alter Bettnachbar, der dankbar Einweisungen, Tipps und Tricks entgegennimmt, „zieh dich am Galgen hoch, dann kannst du dich anders legen,“ wann musst du da sein zur Essensbestellung. Wenn nicht, gibt’s Suppe. Schulterzuck.

Tag für Nacht für Tag für Nacht – heute leider kein Frühstück. Und kein Mittagessen, kein Kaffee – weil spätnachmittags OP. Besuch unter Corona-Regeln – eine getestete Person….

Einige sind alleine im Krankenhaus, kein Mensch, der sie besucht, kein Gott, dem sie Glauben geschenkt hätten, sich durchkämpfend, wieder aufstehend, absetzend, schwer stöhnend, nach Luft ringend, dem Ende entgegen gehend, doch das Leben geht noch einmal einen kleinen Schub weiter. Eine kleine Zugabe. Noch einmal ein Stück Leben, „Gott gib mir noch ein Stück Leben“ betet der Atheist.

„Wieder einen Schritt geschafft ohne Gott“ – sagt das Duracell-Häschen während seine Batterien sich entleeren, nicht wissend, nicht ahnend. Nicht kennend. Nicht kennen wollend.

Als ich die Erde geschaffen habe, wo warst du? Fragt Gott nach bei Hiob, der keine Antwort hat, stattdessen verstummt er von seiner Beschwerde, er hatte Beschwerden vorzubringen gegen Gott. Jedoch: Wo warst du, als ich die Ungeheuer geschaffen habe?
Fragt Gott Hiob aus dem Wettersturm.

Wo warst du? Wer bist du? Bald nicht mehr da.

abgelagert im Krankenhaus

Entlassen aus dem Krankenhaus – andere, aber nicht er. Er liegt wie angemeißelt, könnte sich ins amtliche Melderegister eintragen lassen, erschreckte Schwestern, die nur alle 2 Wochen Dienst haben, „Sie sind immer noch hier?“ „Ja, ich wohne hier.“

Im Krankenhaus wird gekocht und geputzt, gewaschen, gebrochen, kaum gegangen, eher gekrochen, dennoch trägt jeder seine Ehre mit sich herum. Erzählt von den Großtaten, die er erledigen wird, gleich wenn er rauskommt und was seine nicht geschriebenen Heldentaten sind.

Es gibt diejenigen, die wieder gesund werden, und diejenigen, die hoffen, dass sie wieder gesund werden, und diejenigen, die egal, ob sie hoffen oder nicht hoffen, nicht mehr….
…nicht mehr gesund werden, von Bett zu Bett, von Lagerung zu Umlagerung zur Essensanreichung, noch eine Transfusion, eine Bluttransfusion, warum nicht?

Er regeneriert oder degeneriert. Versteift oder ergreift die angebotene Möglichkeit „Sie können am Bettrand stehen, mit dem Rollator gehen, Ihnen wird schwindlig? Machen Sie langsam, Sie lernen wieder zu gehen. Sie gehen falsch, Sie weichen aus! Setzen Sie sich ein wenig hin, morgen üben wir wieder zu gehen.“ War das nicht im ersten Lebensjahr? Üben zu gehen. Sie können bald gehen.

Für immer hier raus. Raus aus dem Knast – dabei haben sie sich so liebevoll gekümmert, gefragt, wies ihm geht, Temperatur, Puls und Blutdruck gemessen, aufgemuntert, Kaffee und Tee und das Mittagessen, freundliche Blicke, Kommentare, Humor und Gespräch, trotzdem sein Hoffen „wann komm ich hier weg?“

Am Entlassungstag dann der – kleine – Schock, „Sie bleiben noch einmal, hier, wir machen direkt heute eine OP. Schauen Sie selbst, Sie sehen es ja selbst, doch sehen Sie selbst…“ — ja klar – dann kein Frühstück, kein Mittagessen, tagsüber wie Ramadan. Ein Christ, der nicht isst bis zur nächsten OP. Es tut den Beobachtern und den Besuchern weh, doch für ihn ist es kein Problem. Er hat sich schon ein Stück weit daran gewöhnt, er wohnt jetzt hier.

Jedoch wird er das Krankenhaus nach einer weiteren Woche verlassen und laufen, trainieren, drainieren, fragend tastend seinen Weg suchen. Gott anbetend. Nur darum geht’s.


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Kommentare

5 Antworten zu „Im Krankenhaus“

  1. Stephan

    Wie passend. Ich bin kurz nach Ostern vom Moped “geschossen” worden. Gerade die letzten Gottesdienste zu Ostern mit dem Pfarrer gemacht, der nun im Ruhestand ist, erstmals seit Jahren einen recht freien Orgelterminkalender, eigentlich passte es zeitlich “ganz gut”. Ein Nachfolger für den Pfarrer ist nicht in Sicht, und ich fürchte, da wird hinterher genommen, was sich bewirbt. Hier gibt es also durchaus ein Gebetsanliegen – aber das geht gerade vielen Gemeinden so, ob landeskirchlich oder frei. Gläubige Pfarrer in der Landeskirche sind noch seltener als motivierte Organisten.

    Ein Pause von der Arbeit schadet derzeit auch nicht – zuviel ist dort in den letzten Wochen passiert, was ich mißbillige. Als Christ, der sich auf Jesus verläßt und nicht auf Impfungen oder sonstige Versprechen, wird der Stand dort immer schwerer.

    Die Augenzeugen wunderten sich, dass ich noch lebte, die Rettungssanitäter sprachen von einem Wunder, dass es nur den Unterarm erwischt hat. Ab ins Krankenhaus, Operation, ein paar Tage Aufenthalt, hier und da konnte ich Zeugnis geben, und jetzt Zwangspause, beruflich, und leider auch an der Orgel. An der Orgel vielleicht für länger, oder für immer. Ich weiß es noch nicht.

    Predigdienste sind dagegen angefragt, aber noch klappt es mit den Vorbereitungen nicht. Ich müßte zuviel dafür aufschreiben, und das fällt noch sehr schwer. Aber das wird wohl eher wieder funktionieren als die “Ornamentalen” von Bach. Die Hand ist derzeit nicht so beweglich wie es sein müßte.

    Bei alldem spürte ich Bewahrung – der Kopf ging aufs Autodach und nicht an die B-Säule, die Brüche glatt, es mußten keine Knochen gepuzzelt werden, die Schrauben für die Platten haben guten Halt gefunden. Ich habe im Krankenhaus ganz andere Schicksale gesehen. Das überwiegend internationale Personal supernett und hilfsbereit.
    Die Fahrerflucht des Unfallgegners sinnlos, da es genug hilfsbereite Augenzeugen gab. Einen guten Orthopäden für die Nachsorge gefunden, die zerstörte Brille ist wieder ersetzt, und finanziell ist alles abgesichert.
    Ich kann mich nicht beklagen, wie es läuft. Um weltliche Dinge muss ich mir keine Sorgen machen.

    Also “Besinnungspause”, sicherlich noch den ganzen Monat. Noch weiß ich nicht, was Gottes Pläne für meine Zukunft sind. Aus meiner Sicht hätte ich das zwar alles nicht gebraucht, aber ich bin gespannt, wozu Gott mich gebraucht.
    Waren es die wenigen Zeugnisse, die ich geben konnte? Oder soll ich mich nicht vorschnell festlegen, wo ich in Zukunft diene, weil erst noch irgendwo eine Tür für mich geöffnet werden soll, die jetzt noch verschlossen ist?

    Ich werde es sehen, wohin er mich führt. Er hat mich soweit bewahrt, also wird es einen Plan geben.

    1. Rolf

      Hi Stephan,
      uppps, danke, dass du weiterlebst. Danke Gott.
      Bei mir war es kein Unfall sondern eine Infektion im Knie aus dem Nichts (ohne erkennbaren Grund, dann halt Schleimbeutel…), die aufs ganze Bein ging von oben bis unten. — 5 Wochen im Krankenhaus.
      —-Ich glaube nicht, dass Gott seine Leute ins Krankenhaus schickt, um dem Bettnachbarn was zu sagen, eher ihnen selbst. Aber selbst das ist ja immer die Frage: wieso, warum?
      Da es hier meist keine Antworten gibt, lerne ich, dass ich Gott näher gekommen bin, schon weil ich nicht mehr so weit weg vom Tod war — wie auch du.
      Danke, dass er dich bewahrt hat im Todesschatten.
      Ehre ihm.
      Aber dennoch hats gerummst und wehgetan und du bist erstmal “teilgelähmt.” — Gute Physios…….
      Gods blessings TO YOU!!!

      1. Stephan

        Bei meiner Mutter habe ich es mehrfach erlebt, dass ihr Krankenhausaufenthalt “sinngebend” war. Einmal hat sie einem Arzt gesagt, der ihr erklärte, dass er “sein Bestes” geben würde und sie mit 3-4 Wochen Aufenthalt zu rechnen habe, dass er mal nur machen solle, und Jesus täte den Rest. Nach 2 Wochen war sie gesund, hatte der Doc so noch nie erlebt und als Wunder tituliert … 🙂
        Das andere Mal war es auch ungeplant und sie am ersten Abend recht niedergeschlagen, aber sie landete auf einem Zimmer mit einer 92-jährigen Pfarrerswitwe. In den nächsten Tagen erzählte sie mir dann immer am Telefon, wie toll es wäre, beten, Bibel lesen, Lieder singen, …, sie war fast traurig, als sie nach ein paar Tagen wieder aus dem Krankenhaus herauskam.

        Also sind wir manchmal Werkzeug für andere in unserem Leid, und manchmal ist das Leid ein Geschenk, das uns zum Besseren führt und uns erbaut.

        Der frühe Tod meines Vaters hat meine Mutter durch Bekannte zu Jesus geführt, sie hat mich in den “Glauben gebetet”, und nunmehr geht mein Sohn seit ein paar Wochen regelmäßig in eine freie Gemeinde.
        Es hat über 10 Jahre gedauert, bis ich erkennen konnte, warum Gott meinen Vater so früh abberufen hat.

        In früheren Zeiten war ich mal angenervt, weil innerhalb kurzer Zeit drei Prediger unabhängig voneinander das Thema “Lob und Dank immer zuerst” gebracht haben. Aber das war das erste, was mir einfiel, als ich nach dem Crash alleine aufstehen konnte, von der Straße gehen konnte und lediglich in der Selbstdiagnose einen Armbruch feststellte: Lob und Dank für Bewahrung, und alles in Gottes Hände legen.
        Bereits im Rettungswagen konnte ich schon wieder Witze machen und habe dem Praktikanten dann die Bedienung des Fieberthermometers erklärt. Die Schmerzen hielten und halten sich in Grenzen, ich habe eigenmächtig meine Schmerztabletten am 2. Tag auf 1/4 reduziert und dann schnell ganz absetzen können. Es lief und läuft wirklich alles optimal, bis hin zum Termin. Eine Woche vorher, und die 4 Gottesdienste über Ostern wären geplatzt. Eine Woche später, und ich wäre mit einem anderen, schnelleren Moped unterwegs gewesen …
        Ich kann also nur immer wieder die Bewahrung hervorheben. Und dann bekomme ich so nach und nach durch Anrufe mit, wieviele Leute aus mindestens drei Gemeinden für mich beten. Ich bin nicht alleine.

        Aber erstmal freue ich mich, dass Gott Dich da auch wieder hoffentlich gut rausgeführt hat – und dass Du einen Blogartikel schreiben konntest, der mir “etwas sagt”. Und jetzt können wir uns darüber austauschen – ein paar Wochen vorher oder ein paar Wochen später, und wir hätten uns wohl nicht unsere Erfahrungen mit Gott auf dem Krankenlager geschildert.

        Gott möge Dich da weiter gut durchtragen!

        1. Rolf Oetinger

          Jo, jogge bereits wieder, vor einer Woche waren 1,5km möglich, dannwar Schluß, gestern 5,8km. Das war die Strecke, die ich erreichen wollte, um dann mal beim Krankenhaus vorbeizuschauen und ihnen mal danke zu sagen und zu zeigen, dass der Oetinger wieder joggt – danke Gott!
          Klar hat man viele Gespräche im Krankenhaus, whatever — schön, dass es dich gibt!
          LG
          Rolf

  2. Katja

    Real life.
    Danke für den Einblick und Deine Gedanken dazu!

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