Sonntagmorgen event

Sonntagmorgens brauchte man den Verkehrsfunk schon gar nicht mehr einzuschalten, es war sowieso klar, wo die Staus sind – jeweils bei den Zufahrten zu den größten Veranstaltungsorten, Stadien, Hallen, in denen das Evangelium der Gnade Christi verkündigt wurde. Bis auf die Autobahnausfahrten stauten sich lange Schlangen zurück, es war der sonntägliche Christusaufbruch der stark wachsenden Jesus-Bewegungen – sie nannten sich „Jünger“, „his disciples“ – hier war die Jesus-Community im Anmarsch: Aufkleber, Fahnen, Kleidung mit entsprechenden Botschaften. Bereits die Anfahrt war Teil des events.

Musik spielte eine Rolle – sie hatten ihre eigenen Radiosender, die ihre Texte und ihren Glauben transportierten. Das technische Equipment in Ihren „Kirchen“ war state of the art, extra auf ihre besonderen Anforderungen zugeschnitten. Jeder sollte überall teilnehmen können, es sollte nicht aufdringlich laut, jedoch akustisch sehr verständlich sein, insbesondere die Inhalte, ging es ihnen doch immer um Inhalte, Inhalte, Inhalte, denen sich der ganze Melodismus unterordnete. Sie hatten eine Botschaft, nicht zuletzt gesungen.

Keine Stars der Bühne im Einsatz, sie sangen vom Publikum abgewandt – tatsächlich nur von hinten zu sehen oder gar visuell abgetrennt — beteten alle zusammen den einen hoch Erhobenen an als eine Einheit, sie lobten Gott lange und ausdauernd. Währenddessen kamen immer mehr Menschen hinzu, die die außergewöhnliche Atmosphäre dieses Tages verspürten, die wirklich alle bis hin zum Parkplatzordner erfasst hatte. Er war mitintegriert.

Seelsorgehelfer, Pianisten, Ordner, Teilnehmer, Kinder, Parkplätze, Mülleimer, Leitsysteme, Ausgänge, Eingänge, Mikrofone, Zeit, unendlich viel Zeit. Naja – für unsere Teilnehmer gefühlt „unendlich viel Zeit“. Man wollte einfach hier bleiben.

Was der Prediger sagt, geht allen nahe, er spricht in der ich- und wir-Form, Dinge die er selbst erlebt hat. Er erklärt — nicht irgendeinen Mechanismus „macht ihr das jetzt auch so“, — nicht „ein Glaubenssystem“ oder eine To-do Liste „schaut mein Buch“, sondern, was er mit Gott täglich lebt, auch nicht erlebt, erlebt, sich täuscht und doch im Weitergehen erfährt. Er ist nicht der Einzige, einer nach dem anderen sind stimmige Leitungspersönlichkeiten, die gleich wieder Teil des Ganzen werden. Verschmolzen in Eins: Es geht nur darum, ihn, den Einen zu verehren. Macht ihn groß, kommt und erhebt Christus den Herrn!

Tatsächlich, Er erscheint groß als Gekreuzigter „an die Bühne gemalt“ durch Lebensberichte und mit seinen ureigenen Worten, die hier verkündigt werden.

Hatte er nicht gesagt: Dieses Evangelium wird verkündigt werden überall auf der Welt bis zum Ende? Seine Worte sind maßgebend, deswegen wurden sie hier auch unübersehbar und eingänglich gesprochen und gebetet. Vom frühen Morgen bis zum Abend überall Gebete. Für jeden, der wollte, wurde gebetet, man konnte mit anderen zusammen beten, lange und ausdauernd, dazu wurde bei Bedarf ein Konferenzsystem installiert.

Voller Emotionen: Tränen der Freude, weil Sünden weggenommen wurden durch den Gekreuzigten oder Trauertränen weil einem akut klar wurde, dass er „in vain“ gelebt hatte bis hierher. Selbstüberschätzung, mangelnde Selbsteinschätzung oder Unglaube.

Glauben war greifbar wie eine Substanz – beim Eintauchen in die neue Sicht der Dinge, wenn man merkt, dass doch „alles ganz anders ist“.

das Mega Event

So ist es, wenn er da ist.

Neu Hinzugekommene zum Glauben an Jesus Christus wurden getauft, dafür standen Täufer bereit, die die Neuen auf den Namen Jesus tauften – im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.

Die Anwesenden waren bald voll heiligen Geistes – entsprechend sollte das Lob Gottes kein Ende mehr finden.

Dann kamen die Heilungen: Menschen, deren alteingesessene Leiden verschwanden, Schmerzen, Knorpel, Wunden, Rheuma, Rückenleiden, von Kopf bis Fuß. Heilungen sollten verifiziert werden durch eine gewisse Zeitdauer und – falls möglich – einem befassten Arzt, der die Heilungsdiagnose stellte. Die wiederum war Teil der übernächsten Veranstaltung, wo Atteste vorgezeigt wurden und dann der status quo.

Depressive Frauen fanden Befreiung von Ihren stets wiederkehrenden Leiden, jetzt saßen sie als Jüngerinnen bei den Füßen Jesu.

Die „Füße Jesu“ waren hier geistlich gemeint. Sie waren die hingebungsvollsten Jüngerinnen, brachten ihre Freundinnen mit, die mit vielen Freudentränen regelrecht feierten. Das hatte man nicht gekannt in den evangelikal-kirchlichen Sonderveranstaltungen egal welcher Art. Menschen feierten ihre Rückkehr ins Leben, sie beteten Gott laut oder leise an, hingebungsvoll oder still zurückgezogen, andere wie auf einem Marsch.

Heute morgen ins 90.000 Einwohner-„Dorf“ gefahren zur Kirche. Sonntagmorgen 10Uhr. Auf dem Kirchenparkplatz 1 Auto, 1 Roller. Ich wundere mich über die vielen freien Parkplätze obwohl doch die Veranstaltung bereits begonnen hat. Ich bin zwei Minuten zu spät, gehe dann leise hinten rein mit dem Gesangbuch und der Brille. Zusammengerechnet fünfzehn Seelen.

Wir stehen am Horeb, dem Sinai, wo die Gesetzestafeln verkündigt werden, wo Gottes Gegenwart präsent ist, dass sie keiner ertragen kann außer vielleicht Mose, der mit steinernen Tafeln zurückkehrt, den Geboten Gottes, dem Bündnis Gottes mit Israel.
Dann weg vom Bund, den das Volk nicht eingehalten hat – weiter zum Bund Gottes mit Glaubenden. Wir stehen nun am Kreuz beim Auferstandenen, der die Sünden wegnimmt, der die Schuld trägt und die Gebote noch einmal erklärt. Liebe Gott von ganzem Herzen und mit aller deiner Kraft und deinen Nächsten wie dich selbst.


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Kommentare

2 Antworten zu „Sonntagmorgen event“

  1. Stephan

    Damals, als wir noch einen Pfarrer hatten, der nun im Ruhestand ist und das Pfarrhaus räumen mußte, (und bislang drei vergeblichen Ausschreibungen), habe ich mich jeden Sonntag ins Auto oder aufs Moped gesetzt, und bin 10-20km gefahren, je nachdem, in welcher der drei Filialkirchen Gottesdienst war. Zumeist eine Stunde früher als notwendig, denn die zu bespielenden Orgeln sind “historisch” und weisen je nach Wetterlage andere Probleme auf, die man vor dem Gottesdienst feststellen sollte. Auch als Ehrenamtlicher möchte man ja den Gottesdienst adäquat begleiten, da muss man um evtl. heulende Töne und hängender Traktur drumherum spielen, oder noch eine kleine Reparatur vornehmen.

    Unterwegs gab es immer wieder Menschenmassen an verschiedenen Orten zu bestaunen, ich komme auf dem Weg an einem Hundeplatz vorbei, mehreren Reiterhöfen, und manchmal traf man auf eine Sternfahrt für die Besitzer von Oldtimern. Ein leises Seufzen, denn ich wußte, überall dort werden mehr Menschen sein als in der Kirche später, wo wir mal zu viert, mal mit 13 Leuten saßen, wenn nicht gerade irgendein besonderer Gottesdienst angesetzt war, den dann manche Leute aus Tradition und folkloristischen Gründen besuchen mußten.

    Die Pfarrstelle ist seit vier Monaten vakant (zwei Tage vor meinem Unfall, das war ein gutes Timing), und die Gelegenheit wurde genutzt, noch die 4 Dörfer mit Kirchen in der Umgebung der Gemeinde zuzuschlagen, denn auch dort war die Pfarrstelle offen. Also sieben Predigtstellen, verteilt auf einen Bereich von bald 15 Kilometern. Es geht noch schlimmer – in einer Stadt nicht weit entfernt mit 45000 Einwohnern sind beide Pfarrstellen seit Monaten unbesetzt.
    Jetzt findet bei uns so alle 3-4 Wochen ein Gottesdienst durch eine gelegentliche Vertretung in einer der sieben Kirchen statt. Aufs Jahr gerechnet sind es dann 2 pro Kirche. Die Vertretung kommt aus dem Nachbarkirchenkreis, und es tut der Stimmung im Gottesdienst nicht gut, wenn der Pfarrer Sonntags drei bis vier Predigstellen besuchen soll. Die Predigt wirkt dann wie auswendig gelernt und nicht mehr vom Heiligen Geist inspiriert, und ansonsten merkt man, dass die Kasualien soviel Zeit kosten, dass die Predigtvorbereitung darunter leiden.

    Guckt man in die Ausschreibungen für offene Pfarrstellen, dann finden sich dort ganz viele unattraktive Stellen für ländlich weit auseinanderliegende Kirchgemeinden, oftmals schon das zweite oder dritte Mal ausgeschrieben.

    Aber ebenfalls findet man Pfarrerstellen (sorry, Pfarrer:innen-Stellen) für Geschlechtergerechtigkeit in der Evangelischen Kirche, LGB…-Themen, Ökumene und Weltmission (ja, wirklich, da es hier vor Ort wohl keine Probleme gibt), weitere fragwürdige Aufgaben in der Landeskirche, und eine Domprediger:innen-Stelle, die in den gelegentlichen Gottesdiensten für die in der Nähe regelmäßig residierenden Politiker politisch korrekte Ansprachen halten soll, ohne wie Jesus die Geldwechsler aus dem Tempel zu werfen – übrigens ist das der Dom, in dem der Marsch für das Leben nicht willkommen war.

    Wenn das nun die wichtigen Aufgaben der Kirche sind, kann man es da verdenken, dass die Leute ihre Sinnerfüllung und Glück auf dem Hundeplatz oder im Reitstall suchen und die dortigen Parkplätze überfüllt sind? Kann man die Rekordzahlen bei den Kirchenaustritten verdenken? Oder sich über den lange absehbaren Pfarrermangel wundern?

    Den beiden Freikirchen im Nachbarsort geht es nicht besser – die einen können sich seit mehr als 20 Jahren nur eine Viertelstelle erlauben, die anderen finden seit ca. 2 Jahren keinen passenden Pastor.

    Tja, da mache ich mir schon Gedanken, wie es denn irgendwann weitergehen wird. Eigentlich ist es jetzt schon vorbei.

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