the sighs

Die Seufzenden

Die Seufzenden

Hast du den Stadtplan gesehen der schönen Stadt? Mit den breiten Alleen, die rechtwinklig aufeinander zulaufen. Hast du gesehen, wie schön, prachtvoll die Uferpromenade am Zentrum vorbeiführt? Schöne ansehnliche, vorzeigenswerte Straßen.

Eine Vorzeigestadt, außer du gehst nach links, zwei Blöcke weiter, wieder nach links und dann die halbe Treppe runter seitlich in die Gasse, da wo nichts mehr in Ordnung ist, wo keine Bäume stehen, keine Allee, keine Träume. Es ist die Straße der Seufzenden.

Was willst du hier, was willst du hier sehen? Hier wirst du nichts sehen. Aber komm, ich zeig dir diese Straße, die Briefkästen sind teilweise demoliert, wie die Namensschilder, soll ich sagen: wie die Namen? Geh mit mir hinunter, schau sie dir an. Wir sind in der Straße der Seufzenden angekommen.

Nun wirst du sagen, es sind Menschen, die nicht mehr kämpfen. Irgendwo gibt es immer ein bisschen Verschleiß, aber weißt du, einige sind seit 10 Jahren krank und nach 10 Jahren leben sie noch und sind krank. Einige hofften so sehr auf Heilung und sie wurden, was soll ich sagen – werden nicht gesund. Wovon reden wir – vom Körper.

Kennst du 10 Jahre Rückenschmerzen? Oder Fünfzehn?
Nun, so ein Stück Optimismus muss man doch haben im Leben, man muss sich einmal zusammenreißen können, das Gute im Leben genießen, die Ente schlachten, den Lebertran genießen, die Flasche Wein köpfen und sich freuen können.
Freut euch mit den sich Freuenden….

die Seufzenden

…hast du mir als Bibelstelle gesagt. Ja, dann ist die Gasse zu Ende. Da hinten wohnt eine Frau, sie ist so sehr verletzt, sie wird niemals mit einem Menschen darüber auch nur ein Wort sprechen. Es tut mir leid, das zu sagen, sie wird es mit in ihr Grab nehmen. Hat sie vergeben? Oh ja.

in der Straße der Seufzenden

Komm, lass uns zurückgehen.
Ich zeige dir den Mann, er lebt nicht in Asien oder irgendwo im Kongo bei den Kobaltschürfern, nein er ist hier in der Straße der Seufzenden. Er hat hier unter den Augen der Fürsorglichen seine Arbeit gemacht, bis er nicht mehr konnte. Es hat ihm die Gelenke zerrieben. Verstehst du, er ist kaputt. Nein, er lebt noch, bekommt Medikamente, ja eine Rente, du siehst ihn, wenn du einkaufst, da geht er immer neben dir, irgendwo neben dir. Du verstehst ihn nicht, wenn er lacht, was er meint, wie er ist, was er dir sagen will.

Man sollte dem Selbstmitleid keinen Vorschub leisten, Rolf, Menschen müssen gesund werden, in Heilung gebracht werden, damit sie gesunde, ausgeglichene Persönlichkeiten werden, sie gesellschaftsfähig, gruppenfähig werden. Solch ein gesunder Mensch, ein Familienvater mit aufrechtem Gang, stark, muskulös, keiner Schuld bewusst, mehrere Kinder, eine Frau, die des morgigen Tages lacht!
Aber nicht alle.

Hast du gesehen, wie sie seufzen? Du sagst mir, diese Menschen brauchen Zuwendung, Sozialtherapie, Liebe, Kontakte, Freundlichkeit, Trost, eine Hand, die sie hält, ein Besuch, bitte denk nicht, dass ich dein Gegner wäre, ich bin es nicht.

Dann war ich lange genug in der Drecksgasse, ich tat die Schritte, die nötig waren, um zurück auf den Boulevard zu gelangen. Die Erde von den Schuhen abschlagen, die Figur etwas gerade rücken, etwas Optimismus ins Gesicht – kam ich zum zentralsten Platz der Stadt mit kupfernem Springbrunnen. Menschen warfen ihre Babys äh Münzen hinein, feierten ausgelassen ihre Namenstage. Überall war es angenehm fröhlich, Geburtsanzeigen in der Zeitung, neue Emilias, Lisas, Leons, Maximilians wurden geboren. Der Puls der Zeit pochte hier, ab und zu ein paar Sterbeanzeigen im Wochenblatt im Aushang, im Ausgang sterben alle beide, die Seufzenden waren diejenigen – sie hatten es schon immer gewusst. Sie hatten ein Stück der Ewigkeit gekannt und sie wussten Bescheid vom Ausgang, vom Kommenden, von dem, was nicht mehr sein wird und idealerweise von dem, was sein wird.


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